mehr zu unserem Menschenbild
Jede Begegnung mit einem Menschen ist dialogisch; denn „alles wirkliche Leben ist Begegnung. Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen dem Ich und dem Du steht keine Begrifflichkeit und kein Zweck. Der Mensch wird am Du zum Ich“3. Diese Sätze Martin Bubers und das Menschenbild Viktor Frankls (Logotherapie) bilden die Grundlage unserer Arbeit.
Die Kräfte des Denkens und die Kräfte der Seele mit den Bereichen des Erlebens, des Fühlens, der Empfindungen bilden eine Einheit. Die entscheidende Dimension aber ist der Geist mit seiner schöpferischen, gestaltenden Kraft. Aus dieser Kraft heraus kann sich der Mensch als intentionales Wesen ausrichten auf eine Welt der Werte und das Beste aus sich herausbringen. Da er mit seinem So-Sein nicht identisch sein muss, ist er zugleich „der Neinsagenkönner, der Asket des Lebens, der ewige Protestant gegen alle bloße Wirklichkeit“4. Er vermag dies, weil der „Wille zum Sinn“ (Frankl) das Grundpotential menschlichen Lebens bildet.
Wenn dies so ist, so kann es eigentlich keinen depressiven, angstgestörten Menschen, keinen Phobiker, Schizophrenen, keinen Borderliner geben, sondern allenfalls einen Menschen, der unter einer Depression, unter Zwängen, unter Ängsten leidet. Der Mensch aber ist stärker als seine Depression. Zwar können sein Körper und seine Seele erkranken, nicht aber sein Geist. Dies ist der Ansatz der Salutogenese, die nicht von den Problemfeldern, sondern von den Entwicklungs- und Wertmöglichkeiten, von den Potentialen des Menschen ausgeht. Diese Überzeugung bildet die Grundlage unserer Arbeit.
Jeder Mensch braucht Perspektiven und Werte für gelingendes Leben. Jedes Leben hat Aufgabencharakter und jeder ist für sein Leben und für jede einzelne Situation in diesem Leben verantwortlich, hat nach Sinnmöglichkeiten zu fahnden und sein Leben in eigener Verantwortung zu gestalten. So kann sich der Mensch ausrichten „nach einem Sinn, den es zu erfüllen gilt, oder nach einem Sein, dem zu begegnen oder das zu lieben es gilt“ (Frankl). Es ist die Offenheit des lebendigen Lebens auf Zukunft, auf Veränderung und Entfaltung der Lebensmöglichkeiten. Wenn der Mensch aber wirklich nach Lebensmöglichkeiten, nach dem Sinn seines Lebens suchen will, wird er erkennen, dass dies mit Bewegung, mit Aufbruch, mit Veränderung zu tun hat. „Im Weiterschreiten find ich Ziel und Glück“, sagt Goethe.
Die stärksten Kräfte, die den Menschen auf seinem Wege begleiten, aber sind die Liebe und die Freiheit.
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1 vgl. zum Folgenden Uwe Böschemeyer, Worauf es ankommt. S. 55f.; Du bist viel mehr. S. 199ff., bes. S. 200; Unsere Tiefe ist hell. S. 40ff.; Frankl, Leiden am sinnlosen Leben. S. 11ff.; Frankl, Psychotherapie für den Alltag. S. 11ff.; Riemeyer, Logotherapie. S. 91ff.
2 Böschemeyer, Worauf es ankommt. S. 44
3 vgl. Buber, Ich und Du
4 vgl. Scheler, Stellung des Menschen, S. 56