mehr zur Logotherapie
Nach Frankl ist der Mensch nicht in erster Linie bestimmt durch sein Streben nach Lust (Freud), nach Macht und Anerkennung (Adler). Vielmehr breiten sich in unserer Zeit Gefühle von Orientierungslosigkeit, von Ausgebranntsein („Burn Out“) und Frustration wie Epidemien aus; die Menschen scheinen vielfach in ihrem „existentiellen Vakuum“ (Frankl) zu verhungern. Für Frankl aber ist der Mensch ein Wesen auf der Suche nach Sinn.
Nun ist es nicht möglich, Sinn zu verordnen. Sinn kann nicht gegeben, sondern muss von jedem Einzelnen selbst gefunden werden (Frankl); denn es geht nicht um einen allgemeinen Sinn, sondern stets nur um den „konkreten Sinn einer konkreten Situation“, um die „Forderung der Stunde“. Denn wie kein Mensch dem anderen gleicht, so ist auch jeder Mensch in seiner Sinnsuche einmalig und einzigartig.
Dem Menschen wird dann die Aufgabe zuteil, sich mit seinem Leiden nicht zu identifizieren, sondern sich von ihm zu distanzieren und eine andere „Einstellung“ zu der neuen Lebenssituation zu finden; denn das „Leiden erhält dann einen Sinn, wenn du selbst ein anderer wirst“ (Frankl). Dazu befähigt den Menschen die „Trotzmacht des Geistes“, die Fähigkeit trotz schwerer Lebensumstände und Schicksalsschläge „Ja zum Leben (zu) sagen“ und über sich selbst hinauswachsen zu können.
Nach Frankl gibt es drei grundsätzliche Wege zur Sinnfindung, die sich allerdings häufig überlagern und durch Tausende möglicher Konkretisierungen des Lebensalltags präzisiert werden müssen:
- den Weg, die Welt in ihrer Lebensfülle, in der Schönheit der Natur, in der Kunst (…) zu erleben und sich von ihr bereichern zu lassen, besonders aber in dem Geschenk, einen anderen Menschen zu lieben
- den Weg sich einer Aufgabe ganz hinzugeben
- den Weg ein auferlegtes Schicksal zu bewältigen.
Frankl hat sein System nicht allein am Schreibtisch entworfen. Es ist entstanden aus einer jahrelangen psychiatrischen und psychotherapeutischen klinischen Arbeit ebenso wie aus Erfahrungen in der Gefangenschaft in vier Konzentrationslagern, die das „experimentum crucis“ seiner Lehre bilden.
Es ist Viktor Frankl zu verdanken, dass er in der Lehre vom Unbewussten „das triebhaft Unbewusste“ (Freud) und das „kollektive Unbewusste“ (C.G.Jung) um das „geistig Unbewusste“ erweitert hat. „Geist“ - erfahrbar, aber nicht erklärbar - ist der Inbegriff der schöpferischen Impulsivität, das Leben zu gestalten und frei entfalten zu können. Die Kräfte des Geistes aber werden maßgeblich in Bewegung gebracht durch die Wirkkräfte des „unbewussten Geistes“, dem „stärksten Energiezentrum“ (Böschemeyer) des Menschen, Er bildet die Quelle der tiefsten menschlichen Potentiale. Es sind die Kräfte der unbewussten Hoffnung, des unbewussten Vertrauens und Selbstvertrauens, der unbewussten Liebe, des unbewussten Mutes (…). Mag ein Mensch in seiner konkreten Lebenssituation auch von aller Hoffnung, von jedem positiven Sinngefühl verlassen sein, so bleiben die ur-menschlichen Potentiale der Hoffnung, des Vertrauens, der Liebe doch unzerstörbar in seiner inneren unbewussten Tiefe erhalten. Diese Kräfte mögen ihm verborgen sein, aber sie sind dennoch da und können, wenn sie wieder in sein Bewusstsein eintreten, neuen Lebensmut, neue Hoffnung in ihm entfachen. Diese unbewussten Potentiale zu neuen Lebensmöglichkeiten aufblühen zu lassen, bildet das Zentrum jeder logotherapeutischen Arbeit.
Die klassischen Arbeitsweisen der Logotherapie sind das „dichte Gespräch“, die Dereflexion, die Paradoxe Intention, die Einstellungsmodulation.
Darüber hinaus werden – dem Ansatz einer Integrativen Logotherapie folgend –„Methoden“ der Humanistischen Psychologie einbezogen, der Psychoanalyse, der Analytischen Psychologie, der Gestalttherapie, der Verhaltenstherapie, der entspannenden Verfahren (…), sofern sie dem Menschenbild unserer Arbeit entsprechen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Arbeitsweisen der Wertorientierten Persönlichkeitsbildung, die sich in ganz besonderer Weise bewährt haben.
Dazu ist anzumerken:
Nicht die Methode einer besonderen Schule steht im Mittelpunkt unserer Arbeit, sondern die Achtung vor dem Menschen, vor seiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit. Daher ist der Umgang mit jedem Menschen, der sich an uns wendet, niemals Routine, sondern stets eine neue, offene personale Begegnung mit dem Ziel Verschüttetes frei zu räumen und neue Lebensmöglichkeiten, neue Sinnperspektiven zu eröffnen. Diesem Ziel muss die Arbeitsweise dienen.
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1 vgl. Frankl, Leiden am sinnlosen Leben. 48ff. ; Ärztliche Seelsorge 39 ff. ; Riemeyer, Logotherapie. 129ff.; Böschemeyer, Worauf es ankommt. S: 30ff.